Nach einer Coronainfektion sind viele Menschen in Deutschland dauerhaft krank, oft schwer. Internationale Forscher haben nun Zahlen zu Betroffenen und Kosten vorgelegt.
Durch die Coronapandemie entstand die Langzeiterkrankung Long Covid. Für einen Teil der Patientinnen und Patienten verläuft sie extrem schwer. Sie entwickeln das Erschöpfungssyndrom ME/CFS. Ein internationales Forscherteam hat nun Zahlen zu den Erkrankungen vorgelegt, die dem Tagesspiegel vorliegen. Die gesellschaftlichen Kosten von Long Covid und ME/CFS belaufen sich demnach in Deutschland auf mehr als 63 Milliarden Euro pro Jahr. Das entspricht etwa 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Zu diesem Ergebnis kam die ME/CFS Research Foundation gemeinsam mit dem Unternehmen Risklayer sowie Forscherinnen und Forschern aus Deutschland und Australien. Die Gesamtkosten seit Beginn der Pandemie (2020-2024) summieren sich den Angaben zufolge auf mehr als 250 Milliarden Euro. Der Bericht soll 13. Mai auf der ME/CFS-Konferenz in Berlin vorgestellt werden.
Diese Zahlen zeigen, wie hoch der gesellschaftliche Schaden durch Long Covid und ME/CFS ist. Ohne wirksame Therapien bleiben die Kosten dauerhaft hoch.
Carmen Scheibenbogen, Leiterin des Fatigue Centrums und der Immundefekt-Ambulanz an der Charité in Berlin
Das Forscherteam hat berechnet, wie viele Menschen hierzulande an Long Covid erkrankt sind und welche gesellschaftlichen Kosten daraus in den ersten vier Pandemiejahren, 2020 bis 2024, entstanden. Zusätzlich berechneten sie dies für ME/CFS.
Zudem gab es bereits Hunderttausende Betroffene vor der Pandemie, da auch andere Virusinfekte wie eine Grippe ME/CFS auslösen können. Obwohl die Krankheit nicht selten ist und schwer verlaufen kann, wurde sie über Jahrzehnte medizinisch weitgehend ignoriert und kaum erforscht. Die Diagnostik ist aufwendig, wirksame Therapien fehlen, symptomatische Medikamente werden selten verschrieben und kaum erstattet.
Viele Betroffene beklagen, von Medizinern nicht ernst genommen zu werden. Dabei wird für viele meist schon geringste körperliche oder geistige Belastung zur Qual und ein ständiges Gefühl der Erschöpfung, Schlafstörungen, Schmerzen sowie Konzentrations- und Kreislaufprobleme plagen die Patientinnen und Patienten. Sie sind oft kaum in der Lage, das Bett zu verlassen und extrem empfindlich für Reize wie Lautstärke oder Licht. Viele liegen deshalb die meiste Zeit im abgedunkelten Zimmer.
Junge Menschen können ihre Ausbildung oft nicht mehr fortsetzen. Angehörige übernehmen einen Großteil der Versorgung unter großer Belastung, so die ME/CFS Research Foundation. Auf gesellschaftlicher Ebene entstünden erhebliche Kosten: für medizinische Versorgung, Pflege, Arbeitsausfälle, Sozialleistungen und entgangene Steuereinnahmen. Auch Unternehmen erlitten so Produktivitäts- und Kaufkraftverluste.
Für Ende 2024 ging das Forscherteam von rund 871.000 von Long-Covid-Betroffenen aus. Bereits vor der Pandemie litten demnach rund 400.000 Menschen an ME/CFS. Die Zahl ist in den Pandemiejahren deutlich gestiegen, auf schätzungsweise 650.000 Ende 2024.
Obwohl die Pandemie als überwunden gilt, zeigt der Bericht nach Angaben der ME/CFS Research Foundation mithilfe innovativer Messmethoden und Datenerhebung: Sars-CoV-2 zirkulierte auch 2024 in mehreren Infektionswellen. Dieses „versteckte“ Infektionsgeschehen habe weiterhin zur Entstehung neuer Long Covid- und ME/CFS-Fälle beigetragen. Ein Rückgang der Krankheitszahlen sei nicht absehbar.
Jörg Heydecke von der ME/CFS Research Foundation und Co-Autor der Studie sagte: „Dem errechneten Schaden von 63 Milliarden Euro stehen derzeit nur ca. 15 bis 20 Millionen Euro jährlich an öffentlicher Förderung für Diagnostik- und Therapieforschung gegenüber. Das ist weder medizinisch noch ökonomisch zu rechtfertigen.“
Heydecke mahnte: „Ein gezielter und nachhaltiger Ausbau der biomedizinischen Forschung könnte schon in wenigen Jahren erhebliche Kosten vermeiden – und hunderttausenden Betroffenen neue Lebens- und Arbeitsperspektiven ermöglichen.“
Professor Carmen Scheibenbogen, Leiterin des Fatigue Centrums und der Immundefekt-Ambulanz an der Charité in Berlin, sagte zu der Studie: „Diese Zahlen zeigen, wie hoch der gesellschaftliche Schaden durch Long Covid und ME/CFS ist. Ohne wirksame Therapien bleiben die Kosten dauerhaft hoch.“
Aktuelle Forschungsergebnisse zeigten aber bereits erste Therapieerfolge und Perspektiven auf. Weitere Therapieansätze sollten schnellstmöglich klinisch erprobt werden. „Wir benötigen dafür dringend mehr finanzielle Unterstützung, um so dringender, da in den USA leider versucht wird, die meisten Forschungsansätze und geplanten Therapiestudien zu stoppen.“
Entschlossene Investitionen in biomedizinische, vor allem klinische Forschung würden in wenigen Jahren wahrscheinlich für einen Teil der Betroffenen reale Heilungsperspektiven möglich machen.
2025-05-11T12:38:23Z