GENTESTS IN DER SCHWANGERSCHAFT: „IM ERNSTFALL SIND DIE FRAUEN üBERFORDERT UND VERZWEIFELT“

Bluttests für Schwangere, vor allem auf Trisomie 21, sind seit 2022 Kassenleistung. Eine Gruppe von Abgeordneten fordert, genauer hinzusehen. Eine der Antragstellerinnen ist selbst Mutter eines Kindes mit Down-Syndrom.

Corinna Rüffer ist Bundestagsabgeordnete, Grüne, Mutter. Und ihre Tochter, die im jungen Teenageralter ist, hat ein Chromosom zu viel. „Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Ein Kind mit Trisomie 21 kann sehr viel Lebensglück bringen. Aber die Gesellschaft muss es den Eltern leichter machen, sich für ihr Kind zu entscheiden“, sagt Rüffer.

Nicht nur privat, auch politisch beschäftigt das Thema sie. Rüffer gehört zu einer interfraktionellen Gruppe von Abgeordneten, die nun das Thema der so genannten nichtinvasiven Pränataltests, kurz NIPT, neu auf die Agenda setzen wollen.

Seit 2022 ist dieser Bluttest für Schwangere Kassenleistung. Damit wird früh in der Schwangerschaft nach Chromosomenabweichungen gesucht: Trisomie 13 und 18, die verhältnismäßig selten sind – und Trisomie 21, also das Down-Syndrom, das sehr viel häufiger auftritt.

In erster Linie geht es hier um das Lebensrecht behinderter Menschen.

Corinna Rüffer, Bundestagsabgeordnete der Grünen, zur Diskussion um den NIPT

Gesicherte Zahlen gibt es nicht, aber Fachleute schätzen übereinstimmend, dass neun von zehn Kindern, bei denen in der Schwangerschaft das Down-Syndrom festgestellt wird, abgetrieben werden. Und damit geht es in der Debatte um eine ganz große Frage: Hat jedes ungeborene Kind das gleiche Recht zu leben, die gleiche Menschenwürde? Und wie steht es um die Selbstbestimmung der Schwangeren und ihre Freiheit, über den eigenen Lebensweg zu entscheiden?

„Die Debatte um den NIPT wird oft verengt auf die soziale Frage, also auf das Thema, ob Paare sich den Test leisten können. Das ärgert mich, denn in erster Linie geht es hier um das Lebensrecht behinderter Menschen“, sagt Rüffer.

Den aktuellen Antrag haben 121 Abgeordnete unterzeichnet. Ob sie eine Mehrheit des Parlaments überzeugen können, ist ungewiss. Bei bioethischen Themen wie diesem geht es nicht um Fraktionszugehörigkeit, sondern um das persönliche Gewissen. Am Mittwoch wird der Antrag in den Bundestag eingebracht.

Der Antrag arbeitet mit unbelegten Befürchtungen, dass Schwangere nichtinvasive Pränataltests unüberlegt in Anspruch nehmen könnten.

Katrin Helling-Plahr, rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion

Konkret gefordert wird ein Monitoring, um überhaupt erst einmal festzustellen, wie gut Schwangere beraten werden, wie oft und warum der NIPT in Anspruch genommen wird, und ob durch die Tests weniger Kinder mit Trisomie 21 zur Welt kommen. Auch soll ein interdisziplinäres Gremium noch einmal die Grundlagen der Kassenzulassung prüfen und Regulierungsoptionen erarbeiten.

„Der Test hat sich zur Reihenuntersuchung ausgewachsen, weil die Indikation so weit gefasst ist. Das war aber nicht die ursprüngliche Absicht. Nun muss dringend genauer hingeschaut werden“, so erklärt Rüffer ihr Ziel.

Doch so, wie das für sie ein Herzensanliegen ist, ist für andere ganz klar, dass sie gegen diesen Antrag stimmen. Da ist zum Beispiel Katrin Helling-Plahr, rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. Sie sagt: „Der Antrag arbeitet mit unbelegten Befürchtungen, dass Schwangere nichtinvasive Pränataltests unüberlegt in Anspruch nehmen könnten oder Ärzte pauschal und unabhängig von der Sinnhaftigkeit im konkreten Einzelfall zur Durchführung raten könnten.“

Für Helling-Plahr steht etwas anderes im Zentrum: Sie hält es für „ethisch unvertretbar“, Schwangere, die weniger Geld haben, vor die Wahl zu stellen, risikobehaftete Untersuchungsmethoden zu nutzen oder auf die Untersuchung zu verzichten. Denn wer den Bluttest nicht nutzt, wird vielleicht im Verlauf der Schwangerschaft auf eine Fruchtwasseruntersuchung zurückgreifen, mit der immer das Risiko einer Fehlgeburt einhergeht.

Auch unterlaufe der Test das Prinzip der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. „Die Frage der Kassenzulassung medizinischer Methoden darf nicht zum Spielball politischer Interessen werden, sondern muss weiterhin auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse entschieden werden“, sagt Helling-Plahr.

Die Grüne Rüffer hingegen hält die derzeitige Praxis gerade nicht für sinnvoll. „So einen Test in Anspruch zu nehmen, ist nur sinnvoll, wenn man sich vorher Gedanken macht, wie man mit einem möglichen unerwünschten Ergebnis umgeht“, sagt sie. „Das kommt in der Beratung aber oft viel zu kurz, und dann sind die Frauen im Ernstfall überfordert und verzweifelt.“

Die medizinische Indikation macht Abbrüche möglich

Zu erklären ist diese Lesart so: So manche Frau macht den Test, ohne vorher genau abzuwägen, im Vertrauen, dass eine gute Nachricht kommt. Doch ist ein unerwünschtes Ergebnis erst einmal da, gibt es kein Zurück zum Nichtwissen, keine Möglichkeit mehr, vor die Entscheidung gar nicht erst gestellt zu werden.

Offiziell wird in Deutschland kein Kind abgetrieben, weil es eine Behinderung hat. In der Praxis passiert aber genau das, über den Umweg der medizinischen Indikation, bei der mit der seelischen Gesundheit der Mutter argumentiert wird. Ein Abbruch ist dann auch nach der 12. Schwangerschaftswoche noch möglich.

„Die medizinische Indikation ist unehrlich und steht rechtlich auf wackeligen Füßen“, sagt Rüffer. Traurigerweise habe sich das Bild etabliert: Eine Behinderung ist etwas, das man vermeiden sollte.

Auch Rüffer ist die Selbstbestimmung der Frau wichtig. „Jede Frau muss frei entscheiden dürfen, ob sie eine Schwangerschaft fortsetzt“, sagt sie. Sie glaubt aber auch: „Diese Entscheidung an der Frage festzumachen, ob das Kind behindert ist, halte ich für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz.“

Genau hier sieht Rüffer auch den großen Unterschied zur Debatte um den Abtreibungsparagraphen 218, die im Moment ebenfalls neu belebt wird. „Es geht hier um Konstellationen, in denen ein nicht-behindertes Kind erwünscht ist, oft sogar die Schwangerschaft geplant war, ein behindertes Kind aber nicht erwünscht ist und abgetrieben wird.“

Rüffer kennt viele Eltern von Kindern mit Trisomie 21. „Keiner von denen hat ein Problem mit seinem Kind. Aber sehr viele haben ein Problem mit inklusionsfeindlichen Strukturen und mit der Bürokratie, die Krankenkasse und Behörden ihnen abverlangen“, sagt sie.

Mehr Hilfe für Familien, die ein behindertes Kind großziehen: Darauf zumindest könnten sich wohl beide Seiten einigen.

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