DER GENDER HEALTH GAP EINFACH ERKLäRT - UND 3 SYMPTOMBILDER, DIE BEI FRAUEN GANZ ANDERS AUSSEHEN ALS BEI MäNNERN

“Gender Health Gap” und welche Krankheitsbilder bei Frauen eher übersehen werden

Dass wir noch lange nicht in einer Welt leben, in der Frauen und Männer gleich behandelt werden, darauf weisen verschiedene, sehr belastende Zahlen hin, die meistens als “Gaps”, also “Lücken”, definiert werden. So zeigen Zahlen zum “Gender Care Gap”, dass Frauen in Deutschland wesentlich mehr unbezahlte Pflegearbeit leisten als Männer, oder Studien zum “Gender Pay Gap”, dass Frauen – selbst bei gleicher Qualifikation und Position in einer Firma – oftmals immer noch weniger Lohn bekommen.

Der “Gender Health Gap” ist in dieser Reihe noch weniger bekannt – aber mindestens genauso wichtig, wenn wir es mit Female Empowerment ernst meinen. Denn er zeigt, dass Frauen im Vergleich zu Männern schlechtere medizinische Versorgung erhalten. Woran das liegt, welche medizinischen Bereiche besonders betroffen sind und was sich ändern müsste, damit wir eine medizinische Gleichbehandlung erreichen, das erklären die Autorinnen des Sachbuchs und Ratgebers “Gender Medizin” sowie der mit Corona-Kapiteln aktualisierten Ausgabe “Die XX-Medizin”, Dr. med. Stefanie Schmid-Altringer und Prof. Dr. med. Vera Regitz-Zagrosek.

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“Gender Health Gap”: wieso der männliche Körper lange als Prototyp galt – und wieso das für Frauen sogar lebensgefährlich sein kann

Die Ungleichbehandlung von Frauen in der Medizin hat viele Facetten, vom “Medical Gaslighting” im Arztgespräch (das Phänomen, bei dem Frauen von medizinischem Personal nicht ernst genommen werden) bis zum Arzneimittel, das nur an männlichen Tieren getestet wird. Seine Ursprünge hat der “Gender Health Gap” aber schon in der Forschung, erklären Stefanie Schmid-Altringer und Vera Regitz-Zagrosek: “Die Medizin sieht den männlichen Patienten als Prototyp, von der Forschung über die Diagnostik bis zur Therapie. Ein solches Ausblenden der Frauen ist weder gerecht noch fachlich korrekt, aber in jedem Fall eine große Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen von Frauen.”

Was bei der Konzentration auf den männlichen Körper schlicht keine Beachtung findet, ist, dass es offensichtliche, wenn auch weniger sichtbare Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, was den gesamten Stoffwechsel oder das Herz-Kreislauf-System angeht, so Schmid-Altringer und Regitz-Zagrosek. Aufgrund dieser Unterschiede empfinden Frauen bestimmte Krankheitsbilder sehr anders und zeigen auch andere Symptome als Männer. Und wer nicht darauf geschult ist, diese Symptome zu erkennen, wird Frauen in der Folge fehldiagnostizieren. Das treffe auch auf Fachbereiche zu, an die man vielleicht zunächst nicht denken mag, wie etwa die Zahnmedizin.

Der “Gender Health Gap” sei allerdings nicht in jedem Fachgebiet gleich ausgeprägt, so Schmid-Altringer und Regitz-Zagrosek. So zähle beispielsweise die Orthopädie als gendermedizinisch noch sehr wenig erforschtes Fach. Aber auch in anderen Feldern hat die Medizin im Bereich “Gender-Medizin” noch einiges an Arbeit zu tun, wie etwa im Bereich Neurodiversität.

Beispiele gefällig? Wir stellen euch drei Symptombilder vor, die sich bei Frauen ganz anders zeigen als bei Männern.

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3 Symptombilder, die bei Frauen ganz anders aussehen als bei Männern

Herzinfarkt

Der Herzinfarkt ist vielleicht das medizinische Ereignis, von dem auch wir Lai:innen am meisten Bilder im Kopf haben – denn er wurde in zahlreichen Filmen dargestellt. Wir denken unweigerlich an ein Stechen in der Brust, Kurzatmigkeit und den viel beschworenen Geruch von verbranntem Toast in der Nase. Bei Frauen kann sich ein Herzinfarkt dagegen auch durch Schmerzen im Oberbauch, starke Übelkeit und sogar mit Nackenschmerzen zeigen, wie auch Prof. Bernward Lauer vom Universitäts-Klinikum Jena erklärt. Durch die unterschiedlichen Symptome kommt es auch zu einem erschreckenden statistischen Ungleichgewicht. So treten zwei von drei Herzinfarkt-Fällen in Deutschland bei Männern auf, und doch sterben häufiger Frauen an einem Herzinfarkt.

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Depressionen

Auch Depressionen zeigen sich zwischen den Geschlechtern nicht gleich, wie eine Studie des RKI belegt. Während bei Männern häufig ein aggressives, unsoziales Verhalten und Gereiztheit wahrgenommen werden, zeigten Frauen eher Unruhe und weniger spezifische Verstimmung, was auch auf die unterschiedliche Sozialisation zurückzuführen sei. Interessanterweise ist es bei der Depression allerdings so, dass die “weiblichen” Symptome eher als Standard gemessen werden. Kein Grund, sich zu früh zu freuen, denn die Stereotypisierung dessen, dass depressive Symptome eher dem weiblichen Typus zugeschrieben werden, führt ebenfalls zu einem Ungleichgewicht und einer Ungleichbehandlung von Frauen. So stellte das RKI fest, dass körperliche Schmerzen bei Frauen häufiger auf die Psyche zurückgeführt werden als bei Männern und dementsprechend körperliche Ursachen bei einer frühen Depressions-Diagnose nicht genug weiterverfolgt werden.

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ADHS

Auch das Neurodiversitäts-Spektrum ist lange nur nach dem männlichen Stereotyp erforscht worden. So zählten etwa zu den “typischen” ADHS-Symptomen lange nur Symptome, die bei männlichen Patienten auftraten, wie starke innerliche Unruhe oder ein vermehrter Bewegungsdrang, auch das “Zappelphilipp”-Syndrom genannt. Dabei gibt es auch atypische ADHS, die vor allem Mädchen und Frauen betrifft, bei der sich die Symptome beinahe konträr zum männlichen Stereotyp zeigen. Während zwar auch sie an Konzentrationsschwächen leiden, sind die stärker in sich gekehrt, verträumt und wirken eher abwesend. Mehr über die ADHS-Diagnostik bei Frauen erfährst du in unserem Gespräch mit der Psychiaterin Dr. Jana Engel:

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ADHS: Darum wird das Syndrom gerade bei erwachsenen Frauen oft zu spät diagnostiziert - und so findest du heraus, ob du betroffen bist

Neurodiversität

Ihr habt den Eindruck, ADHS sei plötzlich überall? Nicht nur auf TikTok wird das Thema zunehmend präsenter. Wieso diese Aufmerksamkeit so notwendig ist, welche Vorurteile über das Syndrom kursieren und wo man anfangen sollte, wenn man ADHS bei sich selbst vermutet, haben wir eine Expertin gefragt

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“Gender Health Gap”: Was können Frauen tun, die sich medizinisch nicht ausreichend betreut fühlen?

Ihr habt euch selbst schon einmal unzureichend behandelt gefühlt oder wollt vorbereitet sein, wenn es zu einer Situation von “Medical Gaslighting” kommt? Dafür geben Schmid-Altringer und Regitz-Zagrosek in “Gender Medizin” konkrete Tipps. Zum einen – vielleicht der offensichtlichste – ganz bewusst auf weibliche Ärztinnen zuzugehen bzw. die Praxis zu wechseln, wenn ein Arztgespräch, egal ob mit einem Mann oder einer Frau, unzureichend verlaufen ist (denn, das betonen auch Schmid-Altringer und Regitz-Zagrosek, auch Frauen reproduzieren die auf Männer ausgerichtete Medizin und partizipieren an der Ungleichbehandlung der Geschlechter). Aber auch an der Gesprächsführung im Ärzt:innen-Gespräch kann man arbeiten. In “Gender Medizin” gibt es deshalb als kleine Anschauungs-Übung den “Doc Talk”, bei dem die Autorinnen eine konkrete Situation durchspielen.

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“Gender Health Gap”: Der Weg in die Zukunft braucht auch entsprechend ausreichende Fort- und Weiterbildung für Ärzt:innen

Aber selbstverständlich kann die Verantwortung zu einer fairen medizinischen Behandlung nicht auf den Patientinnen selbst lasten. Deshalb müssten gendermedizinische Perspektiven auch endlich ihren Weg in die Lehrpläne an den Universitäten finden, meinen Schmid-Altringer und Regitz-Zagrosek. Denn bisher verlaufe die Gendermedizin in Deutschland noch als “Privatinitiative” mancher Ärzt:innen. Neben flächendeckenden Fort- und Weiterbildungen fehle außerdem “ein geprüftes Portal mit aktuellen, neuen Studien. An sich gute Projekte, wie genderMedwiki, versandeten schon vor mehreren Jahren.”

Wer sich noch mehr zum “Gender Health Gap” informieren und erfahren will, was Schmid-Altringer und Regitz-Zagrosek noch raten, um sich selbst als Patientin mehr Gehör zu verschaffen, kann sich in eines ihrer beiden Bücher einlesen, mit dem die Autorinnen es Frauen ermöglichen, selbst aktiv zu werden, und deshalb jede Menge lesbare Infos und krankheitsspezifische Fakten zum Nachschlagen liefern:

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Gendermedizin: Warum Frauen eine andere Medizin brauchen: Mit Praxistipps zu Vorsorge und Diagnostik

22 EUR

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Die XX-Medizin. Das Gesundheitsbuch für Frauen

14 EUR

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