DIE ZAHL DER STATIONäREN THERAPIEN BEI EINER CANNABISSUCHT HAT SICH IN DEUTSCHLAND VERZEHNFACHT

Seit der Jahrtausendwende haben sich in Deutschland drei Mal so viele Menschen wegen Problemen mit Cannabiskonsum an ambulante Suchthilfen gewandt. Stationär sind es sogar noch mehr, die Hilfe suchen mussten – diese Zahl hat sich verzehnfacht. Das geht aus dem «Jahrbuch Sucht» hervor, das die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) am Mittwoch veröffentlicht hat.

In dem jährlich erscheinenden Bericht bündeln Experten und Expertinnen der DHS Zahlen und aktuelle Studien zu sucht- und drogenbezogenen Themen. Nach Alkoholproblemen sind Cannabinoid-bezogene Störungen heute der zweithäufigste Anlass, ein Suchthilfeangebot aufzusuchen. Dass nun auch Cannabis im Bericht aufgeführt wird, hat mit einer deutschen Gesetzesänderung zu tun: Seit dem 1. April sind der Besitz, der private Anbau und der Konsum bestimmter Mengen für Erwachsene legal.

«Diesen Weg müssen wir gehen»

Der sozialdemokratische Gesundheitsminister Karl Lauterbach hatte nach der abschliessenden Debatte im Parlament gesagt: «Ich bin selbst über viele Jahre hinweg ein Gegner der Legalisierung gewesen, aber es ist die Wissenschaft, die jetzt sagt: ‹Diesen Weg müssen wir gehen.›»

Die bisherige Drogenpolitik zu Cannabis war nach Meinung der Bundesregierung an Grenzen gestossen. Die Substanz war trotz Verbot konsumiert worden und der Konsum gestiegen. Schwarzmarkt-Cannabis weise ein erhöhtes Gesundheitsrisiko auf, mit unbekanntem THC-Gehalt und giftigen Beimengungen und Verunreinigungen. Das neue Gesetz sollte den Gesundheitsschutz erhöhen und die cannabisbezogene Aufklärung und Prävention stärken sowie organisierte Drogenkriminalität eindämmen.

Die Wissenschaft weiss allerdings auch um die Risiken dieses Weges. Die Bundesregierung selbst warnt davor, dass das Risiko der Entwicklung einer Abhängigkeit besteht. Insbesondere für Kinder und Jugendliche kann Cannabis gefährlich werden: Wegen des Reifeprozesses des Gehirns sind unter 25-Jährige besonders anfällig für psychische, physische und soziale Auswirkungen eines langfristigen, aber auch eines kurzfristigen Cannabiskonsums. Eva Hoch, Leiterin des IFT München und Autorin im «Jahrbuch Sucht» der DHS, sagt: «Cannabis ist legal und hat Risiken. Diese Kernbotschaft ist für Kinder, Jugendliche und Erwachsene wichtig. Intensive Aufklärung und Prävention sind notwendig. Wir brauchen dafür viel mehr Ressourcen als bisher.»

Wer täglich kifft, hat ein Abhängigkeitsrisiko von 25 bis 50 Prozent

Im Vergleich zu anderen berauschenden Substanzen gilt das Suchtpotenzial von Cannabis dennoch als gering. Genaue Zahlen dazu schwanken, laut der Krankenkasse Barmer werden 2 bis 9 Prozent der regelmässig Cannabis konsumierenden Menschen auch abhängig davon. Das heisst, sie zeigen psychische sowie körperliche Suchtmerkmale. Abhängige Menschen hätten Schwierigkeiten, ihren Konsum zu kontrollieren. Körperlich mache sich eine Abhängigkeit durch eine Toleranzerhöhung bemerkbar. Süchtige würden immer grössere Mengen benötigen.

Wer schon im Jugendalter Cannabis konsumiere, habe ein Risiko von 17 Prozent, diese Symptome zu entwickeln. Wer täglich kiffe, habe ein Abhängigkeitsrisiko von 25 bis 50 Prozent. Zum Vergleich: Bei Nikotin liegt das Risiko, durch gewohnheitsmässigen Konsum abhängig zu werden, laut der Krankenkasse bei 67,5 Prozent, bei Alkohol bei 22,7 Prozent und bei Kokain bei 20,9 Prozent.

DHS fordert Ausbau örtlicher Suchthilfen

Peter Raiser, Geschäftsführer der DHS, sagt, es seien in der Suchthilfe parallel zum Anstieg der Cannabis-Suchtkranken auch zielgruppenspezifische Beratungs- und Behandlungsangebote entwickelt worden. «Um diese auch flächendeckend und allen Hilfesuchenden anbieten zu können, braucht es einen Ausbau der örtlichen Suchthilfe.» Laut Raiser gibt es zwar gute Angebote, um einem problematischen Cannabiskonsum vorzubeugen. «Es erscheint jedoch dringend erforderlich, diese Angebote deutlich auszubauen und weiterzuentwickeln.» Die DHS fordert eine auskömmliche Finanzierung von Beratungs- und Schutzmassnahmen.

Bei der Behandlung einer Cannabissucht kämen vier Schritte zur Anwendung, die auch bei anderen Drogenabhängigkeiten eingesetzt würden. Zunächst müsse sich der Suchtkranke seine Sucht eingestehen. Dann werde er, möglichst unter ärztlicher Aufsicht, kontrolliert entgiftet. Danach folge die psychische Entwöhnung – und abschliessend eine wirksame Nachsorge.

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