IN DEN NIEDERLANDEN - MANN STARB NACH 613 TAGEN CORONA-INFEKTION: WIE ES DAZU KOMMEN KANN

In den Niederlanden starb ein Mann, der 613 Tage mit Corona infiziert war. Sein schwacher Körper bot dem Virus die Möglichkeit, über 50 Mutationen zu bilden. Forscher warnen, dass so neue gefährliche Corona-Mutationen entstehen.

Die Pandemie ist zwar vorbei, aber Corona kursiert nach wie vor. Dank Impfung und einer hohen Immunität hat es seinen Schrecken verloren. Auch wenn vor allem Risikogruppen nach wie vor schwer erkranken und daran versterben können. So schließen Experten auch nicht aus, dass wieder neue gefährlichere Varianten entstehen können.

50 neue Varianten bei Patient festgestellt

Dass dies bei Risikopatienten passieren kann, zeigt ein Extrem-Fall aus den Niederlanden. Die Forschungsergebnisse dazu werden vom 27. bis 30. April auf einem Kongress der Europäischen Gesellschaft für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten in Barcelona vorgestellt. Es geht um einen 72-Jährigen, der 613 Tage lang mit Sars-CoV-2 infiziert war und im Oktober 2023 verstarb. Es handelt sich laut den Wissenschaftlern um die längste bisher bekannte Corona-Infektion.

Das Besondere daran: Mediziner hatten immer wieder Proben von dem Mann genommen, um das Erbgut des Coronavirus zu untersuchen. Dabei stellten sie insgesamt mehr als 50 Mutationen im Vergleich zur damals kursierenden Omikron-Variante BA.1 fest. Darunter auch solche, mit denen das Virus der Immunabwehr entgehen kann. Noch gefährlicher: Bereits 21 Tage nachdem der Mann ein bestimmtes Corona-Medikament bekommen hatte, entwickelte das Virus Merkmale einer Resistenz dagegen.

Mann war krebskrank und immunsupprimiert

Der Mann aus den Niederlanden litt an einer Form von Blutkrebs. Nach einer Stammzelltransplantation erhielt er Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken. Wegen eines Lymphoms, umgangssprachlich Lymphdrüsenkrebs, das sich im Anschluss entwickelte, erhielt er zudem das Krebsmedikament Rituximab. Dieses baut B-Zellen ab, die sonst auch Antikörper gegen Sars-CoV-2 bilden. Der Mann starb schließlich am Wiederaufflammen einer seiner Vorerkrankungen.

„Dieser Fall unterstreicht das Risiko, das von andauernden Sars-CoV-2-Infektionen bei immungeschwächten Personen ausgeht“, erklären Forscher in einer Mitteilung. Durch die Entwicklung des Virus bei einem einzelnen Patienten könnten sich einzigartige Varianten herausbilden. Deshalb sei es wichtig, die Evolution des Coronavirus in immungeschwächten Personen genau zu überwachen. Es bestehe die Gefahr, dass Varianten entstehen und sich in der Gesellschaft verbreiten, denen auch das Immunsystem gesunder Menschen weniger anhaben kann.

Über den langen Infektionszeitrum können viele Mutationen entstehen

Doch wie genau kann so etwas passieren? „Jedes Mal, wenn sich das Virus vermehrt, können beim Kopieren der Erbinformation Fehler passieren. Diese Fehlerwahrscheinlichkeit ist bei RNA-Viren wie Sars-CoV-2 recht hoch“, erklärt der Immunologe Carsten Watzl von der TU Dortmund auf Anfrage von FOCUS online. „Da sich das Virus in diesem Patienten über einen langen Zeitraum stark vermehren konnte, konnten auch dementsprechend viele neue Mutationen entstehen“, führt er weiter aus.

Doch können solche Mutation auch bei Menschen entstehen, deren Immunsystem einfach nur geschwächt ist – zum Beispiel wegen eines Infekts? „Das kann immer passieren, wenn das Immunsystem nicht in der Lage ist, das Virus effizient zu bekämpfen und sich das Virus entsprechend vermehren kann“, sagt Watzl. „Je mehr Vermehrung, desto höher die Wahrscheinlichkeit von Mutationen.“

Gefahr: Virus kann sich ohne Kontrolle von Immunsystem weiterentwickeln

Dass dadurch auch gefährliche Varianten entstehen können, schließt Watzl ebenfalls nicht aus. „Ja, das stimmt. Dabei spielt nicht nur eine Rolle, dass das Virus durch die vielen Kopien auch entsprechend viele Mutationen erzeugen konnte, sondern auch, dass all dies in einem einzigen Patienten passiert“, betont er.

„Wenn die Vermehrung in einem Patienten ohne Kontrolle durch das Immunsystem stattfindet, wirkt sich eine einzelne negative Mutation erstmal nicht nachteilig für das Virus aus“, erklärt der Immunologe weiter. So könnten weitere Mutationen dazukommen und das Virus kann eine neue Variante entwickeln. „Gefährlich würde das aber nur, wenn sich weitere Personen dann mit einer solchen Variante auch anstecken“, erklärt Watzl weiter. Im Falle des Patienten aus den Niederlanden war dies offenbar nicht der Fall.

Watzl: „Auch die Impfung braucht funktionierendes Immunsystem“

Interessanterweise war der Mann aus den Niederlanden mehrfach gegen Corona geimpft. Doch bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus konnten die Mediziner keine messbare Antikörperreaktion bei ihm feststellten. Für Watzl wenig verwunderlich: „Auch die Impfung braucht ein funktionierendes Immunsystem - denn Impfungen regen das Immunsystem ja nur an, eine schützende Immunität aufzubauen“, erläutert er.

Daher wirkten Impfungen bei Patienten mit geschwächtem Immunsystem oft schlechter. „Dennoch profitieren fast alle Menschen mit Immunschwäche oder einem Immundefekt von einer Impfung, denn es ist zum Glück sehr selten, dass das komplette Immunsystem defekt ist“, betont er weiter.

Watzl: Immunsystem altert auch - daher sollten sich Menschen ab 60 jährlich impfen lassen

Deshalb rät Watzl nach wie vor, sich impfen zu lassen. „Im Alter funktioniert das Immunsystem schlechter, denn auch unser Immunsystem altert“, so der Immunologe. Auch verschiedene chronische Erkrankungen könnten das Risiko erhöhen, dass man schwerer an Covid-19 erkrankt. Da der Immunschutz von einem funktionierenden Immunsystem abhängt, gehe er bei Älteren auch etwas schneller wieder verloren.

„Das sind alles Gründe, warum sich alle ab 60 Jahren und Personen mit Immunschwäche oder bestimmten chronischen Erkrankungen jeden Herbst noch mal gegen Corona impfen lassen sollten“, sagt der Mediziner. „Das ist übrigens der gleiche Personenkreis, für den auch eine jährliche Grippeschutzimpfung empfohlen ist“. Die kann man auch gleichzeitig vornehmen.

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