LONG COVID UND ME/CFS AM ARBEITSPLATZ: UPS, JETZT HABE ICH DAS BöSE WORT GESAGT

Führungskräfte reden nicht gern darüber, aber heute muss es sein. Denn viele Arbeitskräfte leiden mittlerweile unter Long Covid oder ME/CFS. Für Unternehmen wird der hohe Krankenstand zum Problem. Zeit zu handeln.

Normalerweise begrüßt Sie an dieser Stelle meine Kollegin Christiane Sommer mit Lesestoff zum strategischen Management. Dass sie mir heute den Platz in diesem Newsletter überlassen hat, hängt mit einem Thema zusammen, über das Führungskräfte nicht gern reden. Ich aber schon. Weil ich überzeugt bin, dass Unternehmen sich hier ein massives Problem einhandeln. Es geht um die Folgen wiederkehrender Infektionen mit dem Coronavirus. Ups, jetzt habe ich das böse Wort gesagt. Corona. Lesen Sie trotzdem weiter?

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Sie sind ja noch da. Großartig. Dann fasse ich kurz die Fakten zusammen: Die Pandemie ist keineswegs zu Ende; aktuell steuern wir – fast unbemerkt von der Öffentlichkeit – mal wieder auf den Höhepunkt einer Welle zu. Covid ist nicht nur ein Schnupfen. Es kann Gefäße, Organe und Gehirn schädigen und die Anfälligkeit für andere Erkrankungen stark erhöhen. Bei jeder einzelnen Infektion liegt das Risiko, Long Covid zu entwickeln, irgendwo zwischen 5 und 15 Prozent. Und je häufiger wir infiziert waren, desto größer wird dieses Risiko. Klingt beängstigend, oder?

Nur: Angst bringt uns bei diesem Thema nicht weiter. Denn sie löst im Gehirn Abwehrreflexe aus. Wir wollen dann nichts mehr von dem Angstmacher hören. Wir verdrängen, verschweigen und belächeln das Problem. Und das trifft nicht nur Alte und Vorerkrankte. Sondern auch Menschen im Berufsleben. Ihre Lohnbuchhalterin. Ihren Datenschutzexperten. Und Ihre Vorstandskollegin.

Was das alles mit strategischem Management zu tun hat? Nun, Risiken zu erkennen und zu begrenzen ist ein zutiefst strategischer Ansatz. Und angesichts des sich verschärfenden Fachkräftemangels ist es für viele Unternehmen eine Katastrophe, wenn ein immer größerer Teil ihrer Belegschaft wegen einer nicht behandelbaren Erkrankung dauerhaft ausfällt. Aber lässt sich dieses Risiko überhaupt begrenzen? Ja, mit Prävention, wie ich an anderer Stelle beschrieben habe. Heute möchte ich Ihnen aber einen ganz besonderen Artikel ans Herz legen, den wir in unserer Oktoberausgabe veröffentlichen. Meines Wissen ist er einzigartig im Wissenschafts- und Managementjournalismus.

Im HBm-Stück „Wie umgehen mit Long Covid am Arbeitsplatz?“ beschreiben die US-Wissenschaftlerinnen Katie Bach, Ludmila N. Praslova und Beth Pollack faktenreich und anrührend, wie Betroffene von Long Covid, ME/CFS und anderen chronischen Erkrankungen um ihren Verbleib im Berufsleben kämpfen – und wie Arbeitgeber sie dabei unterstützen können. Das Geheimnis: viele kleine Anpassungen und große Flexibilität.

  1. Warum Führungskräfte die „Löffeltheorie“ kennen sollten. ME/CFS war bislang eine recht unbekannte Krankheit, die oft als Müdigkeit missverstanden wurde. Weil viele Long-Covid-Erkrankte darunter leiden, bekommt sie inzwischen mehr Aufmerksamkeit. Vorgesetzte sollten sich vor allem über die „Löffeltheorie“ informieren. Sie besagt, dass Betroffene pro Tag nur eine begrenzte Anzahl an Löffeln – Energieeinheiten – zur Verfügung haben und damit streng haushalten müssen.

  2. Jede und jeder Erkrankte hat andere Bedürfnisse. Es gibt keine Standardlösung, die für alle passt. Das ist für Führungskräfte und HR oft schwer zu verstehen und zu managen. Die Autorinnen empfehlen, eine ganze Liste von Optionen bereitzuhalten und daraus eine individuelle Auswahl zusammenzustellen. Die Palette reicht von flexiblen Arbeitszeiten über Sprache-zu-Text-Software bis hin zur Ausrüstung für die Arbeit im Liegen.

  3. Inklusion muss Teil des Talentzyklus werden. Wenn Unternehmen Arbeitsplätze auf Menschen mit Long Covid und anderen chronischen Erkrankungen zuschneiden, dann verschaffen sie sich einen selten genutzten Vorteil im Kampf um Talente. Denn Betroffene sind oft bestens qualifiziert und motiviert – nur fehlt ihnen die Energie für einen herkömmlichen Arbeitsplatz. Darauf sollten Arbeitgeber schon im Recruiting und bei der Einarbeitung Rücksicht nehmen.

Toll, dass Sie bis hierhin gelesen und Ihren Abwehrreflex niedergerungen haben. Vielen Dank. Falls Sie jetzt noch tiefer in die Thematik einsteigen wollen, empfehle ich Ihnen das Buch der Ärztin und Long-Covid-Betroffenen Natalie Grams: „Entschuldigen Sie bitte, dass ich störe, aber wir müssen über Long Covid und ME/CFS sprechen“. Sie hat es mit größter Anstrengung geschafft, über ihre Erfahrungen zu schreiben, und dabei ihren Humor nicht verloren. Auch weil ihr Arbeitgeber sie immer unterstützt hat. Das Buch ist übrigens im Selbstverlag erschienen, denn die großen Buchverlage glaubten nicht, dass es sich verkaufe. Tja, aktuell steht es auf Platz eins der Ratgeber-Bestsellerliste von „Books on Demand“.

Wie unterstützt Ihr Unternehmen betroffene Mitarbeitende? Ich freue mich auf Ihre Zuschriften hier.

Herzliche Grüße

Britta Domke

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